(...)Rotsünden (als leichtere Fälle zumeist
mit einer automatischen Sperre von zehn Tagen geahndet) landen bei
den Erwachsenen vor dem Sportgericht des Verbandes. Beim
Nachwuchs regelt das der Jugendrechtsausschuss. Das Sportgericht
kommt mittwochs um 17.30 Uhr in der Zentrale des Verbandes in Jenfeld
zusammen und legt bei zehn bis 15 Fussballsündern das Strafmaß fest.
"Die Zahl der mit einer Roten Karten bestraften Vorfälle ist im Grunde
seit Jahren gleich geblieben", sagt Christian Koops, seit fünf Jahren
Vorsitzender und davor schon sechs Jahre Beisitzer des Sportgerichtes.
"Was zum Teil zunimmt, ist die Intensität einzelner Ausschreitungen.
Man muss bei dieser Diskussion über zunehmende Gewalt auch im
Amateurfußball auch eines berücksichtigen: Wenn vor zehn Jahren bei
einem Altherrenspiel zwei mit den Fäusten aufeinander losgingen, erfuhr
außerhalb des Platzes kaum einer davon. Heute wird fast jeder Vorfall
bei Facebook, in Internet-Foren oder sonstwo gepostet, und der gesamte
Hamburger Fußball redet darüber. Nicht eigentlich die Gewalt auf den
Plätzen, aber das Wissen um jeden Vorfall hat zugenommen."
Verfallen und in Vergessenheit geraten sind in unserer Gesellschaft und
damit auch im Kampfsport Fußball Werte wie Rücksichtnahme und
Fairness. "Wenn ich dieses Wort selbst bei Trainerlehrgängen in den
Mund nehme", sagt Willy Wilkens, "schauen mich viele an, als käme ich
von einem anderen Stern. Der Sport setzt kaum noch Grenzen. Dass
mein Kampfeinsatz dort enden muss, wo für meinen Gegner die
Verletzungsgefahr beginnt, solche Werte werden kaum noch vermittelt."
Der Mann weiß besser als jeder andere, wovon er redet. Denn der
frühere Polizeibeamte hat mit den schlimmsten Folgen dieses
Werteverfalls zu tun. Als Anti-Gewalt- und Deeskalations-Trainer ist Willy
Wilkens inzwischen nicht nur in Jugendstrafanstalten und Gefängnissen
wie Santa Fu im Einsatz. Auch im Hamburger Fußball finden er und sein
Team ihre Arbeit. Bei der Trainerausbildung lehren sie richtiges
Verhalten bei "Gewalt auf dem Platz", bei der Trainerfortbildung heißt ihr
Arbeitstitel "deeskalierendes Verhalten am Spielfeldrand."
Nicht in jedem Fall fruchten diese Bemühungen. "Ich könnte nicht wenige
Kollegen, Betreuer und sonstige Offizielle aufzählen, die ein Spiel eher
anheizen als zu beruhigen", sagt Andreas Behnemann, der in der
Bezirksliga den SSV Rantzau trainiert. Allein für Vergehen wie verbale
Entgleisungen an der Seitenlinie vom 21. September bis zum 13.
Oktober sprach das Sportgericht vergangene Woche 13 Verweise aus.
Das zeigt: Trainer und Betreuer sind längst nicht immer gute Vorbilder
ihrer Spieler. Vor allem nicht im Jugendbereich. Da müssen viele Klubs
nach dem Wegfall steuerlicher Vergünstigungen fast jeden nehmen, den
sie kriegen können.
Im Hamburger Jugendfußball organisiert das Anti-Gewalt-Team auch
sogenannte Coolnesstage für Spieler und Mannschaften zwischen dem
14. und 18. Lebensjahr. Diese vorbildlichen Maßnahmen werden auch
im kommenden Jahr wieder von einer Stiftung mit 10 000 Euro
unterstützt.
"Gewaltausbrüche auf dem Platz haben immer eine Vorgeschichte",
erklärt Willy Wilkens. "Sie bauen sich langsam auf, entwickeln sich. Was
uns bei unserer Arbeit am meisten erschreckt ist die Erfahrung, wie
wenig Umfeld, Mitspieler, Trainer und auch Zuschauer das erkennen
oder auch erkennen wollen. Wenn die Gewalt erst zum Ausbruch kommt,
ist es sehr schwierig, sie einzudämmen. In Einzelübungen erleben wir
immer wieder, wenn ein Junge provoziert oder hart gefoult wird, ist es für
ihn fast unmöglich, cool zu reagieren, die Dynamik aus dem
Zusammenprall zu nehmen, der oft reine Machtdemonstration ist."
Mittwoch wurde am Sportgericht wieder eine Tätlichkeit gegen einen
Schiedsrichter verhandelt. "Der Spieler aber hatte nur versucht, die Hand
des Schiedsrichters festzuhalten, damit der nicht die Rote Karte zücken
konnte", so der Gerichtsvorsitzende Christian Koops. Dieser Kicker "darf"
nun in dem halben Jahr, für das er gesperrt wurde, über sein Verhalten
nachdenken.
Blanker Hass wie vor 13 Monaten, als er dem Zweitligatreffen des FC St.
Pauli bei Hansa Rostock als Zuschauer beiwohnte und um das Leben
von Sohn Yannik, 15, fürchtete, schlug Michael Fischer auf Hamburger
Amateurplätzen noch nicht entgegen. Eine Verrohung der
Umgangsformen stellt er trotzdem fest. "Es fängt schon damit an, dass
einen der gegnerische Trainer nicht mehr begrüsst und auch nicht zum
Sieg gratuliert", sagt Andreas Behnemann bei. "Früher haben wir uns im
Spiel die Knochen poliert. Hinterher beim Bier war alles wieder gut."
Heute gehört die Beschimpfung fast zum Umgangston. Schuld habe laut
Fischer das mediale Zeitalter: "Die Leute bekommen im Fernsehen und
Internet den letzten Schrott vorgesetzt, unentwegt. Dabei merken sie gar
nicht, wie sie allmählich selbst abstumpfen."